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Christina Burghagen, Thuner Tagblatt, 21. 05. 2016:
Die neue CD von Silvia Harnisch
Dem Tier eine Stimme geben
Kleiner Hund trifft weissen Esel
Die bekannte Berner Pianistin Silvia Harnisch gastierte am Donnerstag in der Kirche Scherzligen mit Werken von Johann Sebastian Bach und einer Auswahl an Stücken, die Tiere thematisieren.
«Nicht Bach, sondern Meer sollte er heissen, wegen seines unendlichen, unerschöpflichen Reichtums an Tonkombinationen und Harmonien.» So sagte Beethoven, selber ein grosser Komponist, von Bach. Mitreissende Läufe und sinnlich-erhabene Passagen brachte die zierliche Pianistin im himbeerroten Kleid bei der Chromatischen Fantasie und Fuge von Bach als Auftakt zu Gehör. Die Konzertgäste im halb besetzten Scherzliger Kirchlein folgten entzückt der Passage, die Bach dem Meer widmete. Die virtuose Kunst der Musikerin machte schäumende Gischt, perlende Tropfen oder sich brechende Wellen hörbar.
Wie tönt ein Tier auf dem Klavier?
Die Frage: Wie tönt ein Tier auf dem Klavier? beantwortete Silvia Harnisch mit Stücken wie
«Le Coucou» von Claude Daquin,
«La Poule» von Jean Philippe Rameau aus dem 18. Jahrhundert sowie Jacques Iberts
«Le petit âne blanc» und
«Véritables préludes flasques pour un chien» von Erik Satie aus dem 20. Jahrhundert. Vorwitzig liess der Kuckuck eingebunden in schnelle Klavierläufe seinen typischen Ruf hören. Beim Huhnthema folgten die Zuhörerinnen und Zuhörer gebannt dem Hennenrennen und dem lautmalerischen Picken, Scharren und Krähen im Stück von Rameau. Bei Iberts kleinem weissen Esel stellte sich das Bedauern ein, warum man Musik nicht streicheln kann. Das anspruchsvolle Werk jüngeren Datums spiegelt die Mühe und die Lebensfreude des Esels wider. Saties Hundthema in drei Sätzen unterteilte sich in
«Strenger Verweis»,
«Hund, allein zu Hause» und
«Will spielen» – das sensible Spiel der Künstlerin liess in den Köpfen des Publikums einen Hund in allen Facetten aufleben.
Rasantes Werk mit federleichter Hand
Den Walzer in Des-Dur
«Valse du petit chien» von Frédéric Chopin kennt so ziemlich jeder, ohne zu wissen, dass der Komponist aus dem 19. Jahrhundert dabei einen Hund vertont, der im Kreis rennend versucht, seinen eigenen Schweif zu schnappen. Die Pianistin spielte das rasante Werk mit federleichter Hand. Mit Franz Liszts Konzertetüde No. 1
«Waldesrauschen» und der
«Vogelpredigt des Franz von Assisi» schloss das Konzert. Durch seine Nähe zur Natur wurde Franziskus zum Patron der Tiere. Die Vögel verstanden ihn, wenn er zu ihnen sprach, selbst
«Bruder Wolf» wurde in seiner Gegenwart zahm. Der wohl älteste bekannte Tierschützer predigte:
«Ein jedes Lebewesen in Bedrängnis hat gleiches Recht auf Schutz.» Als Zugabe spielte die Pianistin aus Bachs
«Der gute Hirte» die
Cantate
«Schafe können sicher weiden» und lud mit erhabenen Klängen zur Einkehr ein. Weitere Konzerte im Kanton Bern finden im Juni und im Juli statt.
Christina Burghagen, Thuner Tagblatt, 21. 05. 2016 —